Dramaturgin und frühere Filmreferentin Hedda Gehm verstorben
Wenige Tage vor ihrem 81. Geburtstag ist Hedda Gehm, Dramaturgin im DEFA-Studio für Trickfilme Dresden und frühere Filmreferentin im Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, verstorben. Damit hat nicht nur das DIAF ein aktives Mitglied verloren, sondern auch die Dresdner Filmszene eine engagierte Streiterin für den (animierten) Film. Bis zuletzt hat Hedda Gehm als Dramaturgin Projekte betreut.
Von der Theaterwissenschaft zum Trickfilm
Hedda Gehm wurde am 5. Januar 1943 in Halle an der Saale geboren. Dort besuchte sie auch die Schule und legte das Abitur ab. Nach einem praktischen Jahr in der Produktion studierte sie von 1962 bis 1966 Theaterwissenschaften an der Theaterhochschule Leipzig. Einem ihrer Dozenten war aufgefallen, dass sie Fabeln und literarische Parabeln auf verschiedene Deutungsmöglichkeiten untersuchte und analysierte. Er schlug ihr vor, das anstehende Praktikum im Trickfilmstudio der DEFA in Dresden zu absolvieren. Sie reichte ihre Unterlagen ein und begann im Sommer 1964 das Praktikum.
Ein wegweisendes Praktikum
Rudolf Thomas, einer der erfahrenen und erfolgreichen Dramaturgen des Studios, betreute sie und sorgte dafür, dass sie die unterschiedlichen Tricktechniken und Ausdrucksformen direkt in den Drehstäben und bei der Produktion kennenlernen konnte. Zuerst war Hedda Gehm im Stab Günter Rätz und hat bei der Puppenanimation geholfen. Dann kam sie zu Otto Sacher in den Zeichentrick und verschaffte sich einen Überblick zur Technologie und den Ausdrucksmöglichkeiten des gezeichneten Films. Danach konnte sie in der Dramaturgie des Studios bei den literarischen Vorarbeiten und der Stoffentwicklung Kenntnisse erwerben. Sie bekam eine sehr gute Beurteilung und äußerte den Wunsch, beim Trickfilm zu arbeiten. Aber als sie sich 1966 nach ihrer Diplomprüfung ordentlich bewarb, erhielt sie eine Absage, da der Stellenplan ausgelastet war und keine neue Stelle in Aussicht stand. So begann ihr Berufsleben am Theater in Rudolstadt als Dramaturgin für Schauspiel.
Dramaturgin bei mehr als 100 Trickfilmen
1967 wurde im Dresdner Studio in der Abteilung Dramaturgie eine Stelle frei. Da erinnerte man sich an die engagierte Hedda Gehm und sie konnte am 1. Juli 1967 einen unbefristeten Arbeitsvertrag unterschreiben. Der erste Film, an dem sie die Stoffentwicklung gemeinsam mit Rudolf Thomas bewerkstelligte, war natürlich ein Zeichentrickfilm und zwar 1969/70 Ehret die Frauen von Otto Sacher und Klaus Georgi. Oft arbeitete sie mit Katja und Klaus Georgi zusammen, ebenso mit Lothar Friedrich und Walter Später. Als Dramaturgin kümmerte sie sich zudem um die Vater-, Theo- und Mausi und Kilo-Serien. In den 80er Jahren wirkte Hedda Gehm auch als Autorin und realisierte besonders mit Sieglinde Hamacher interessante und bedeutende Filme. Sie betreute zudem die Silhouettenfilme von Manfred Henke.
Abwicklung des Studios und geschickte Rettungsaktion
1990 übernahm sie als Chefdramaturgin die Leitung der Abteilung und erlebte die Abwicklung des Studios in der Funktion der Chefredakteurin.
1992 begann sie als Referentin für Film und Bildende Kunst im Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst und arbeitete dort bis zu Pensionierung 2006. In dieser Zeit hat sie maßgeblich an der Gründung und am Ausbau des DIAF mitgewirkt. Ihrer fast konspirativen Arbeit als „Strippenzieherin“ auf politischer Ebene ist es zu verdanken, dass die überlieferten und geretteten Materialien aus dem DEFA-Studio für Trickfilme Dresden in ihrer „Heimatstadt“ verbleiben durften. Die Treuhand willigte ein – einen Tag, bevor der Transport nach Berlin gehen sollte. Hedda Gehm organisierte auch das Domizil für das frisch angelegte Archiv in den Technischen Sammlungen mit – und nicht zuletzt Gelder für Gehälter und die Installation einer Dauerausstellung zur Dresdner Trickfilmproduktion. Außerdem baute sie die kulturelle Filmförderung in Sachsen auf und ermöglichte zahlreichen Filmemachern, ihre Projekte zu realisieren. Parallel war Hedda Gehm als Gutachterin bei der Filmbewertungsstelle Wiesbaden tätig.
Als Autorin hat sie nach 2006 an vielen Projekten im mediahaus Kreischa mitgewirkt, z. B. dem Langfilm Der siebente Rabe zum Krabat-Thema oder dem Kurzfilm über den Komponisten Carl Maria von Weber fürs Weber-Museum in Dresden-Hosterwitz.
Am 1. Januar 2024 ist Hedda Gehm verstorben.
Jörg Herrmann
Zum Abschied von Hedda Gehm aus dem aktiven Arbeitsleben
Beitrag von Sabine Scholze im „Auslöser“ 4/2006, S. 6
Liebe Hedda,
soll man jemanden beglückwünschen, der aus dem Arbeitsprozess ausscheidet, um sich dem endlich verdienten Ruhestand zu widmen, den man heute so gern den „Unruhestand“ nennt, so, als sei es fragwürdig, sich der Ruhe hinzugeben? Oder soll man den zukünftigen Ruheständler bedauern, weil – haben wir das nicht einst gelernt? – erst die Arbeit den Menschen zum Menschen macht? Eine knifflige Frage also, bei der ich mir nur in einem sicher bin, die Leidtragenden sind wir alle, die in Sachsen mit dem Film arbeiten, ob vor oder hinter der Kamera, ob im Kino vor Publikum oder hinter dem Projektor, ob am Schneidetisch oder im kühlen Keller eines Filmarchivs, wir alle sind vorerst einmal zu bedauern, denn es wird uns jemand fehlen, der aufmerksam zuhören, in noch so kniffligen Lagen akzeptable Kompromissvorschläge machen konnte, jemand, der immer praktikable Lösungen für den Parcours des Förderdschungels in petto hatte, der offen war für Visionen, auch die der unrealistischen Art. Jemand, mit dem man die virtuellen Pferde herdenweise stehlen konnte.
Was ist es gewesen, das Dich in Deiner Funktion als Filmreferentin im Freistaat immer souverän, aber nie besserwisserisch agieren ließ? Filmische Kompetenz, ein unbestechliches Fachurteil, Orientierung immer am Sachverhalt und ein sicheres, künstlerisches Gespür, erworben in langen DEFA-Jahren, in denen Du als Dramaturgin mit Spitzenregisseuren des kleinsten DEFA-Studios gearbeitet hast. Du hast sie dramaturgisch beraten, warst ihnen ein sachkundiger Partner, hast selbst als Autorin für nicht nur einen erfolgreichen Film die Ideen entwickelt. Du hast mit Klaus und Katja Georgi gearbeitet, Otto Sacher gehörte zu Deinen langjährigen Arbeitspartnern und Du und Sieglinde Hamacher, Ihr wart ein so wunderbares Duo. Die Lösung, Kafkas Traum, Ein friedlicher Tag oder Gemäldegalerie seien hier nur stellvertretend genannt für eine schier endlose Reihe von Filmen, bei denen Du Deine Gedanken mit im Spiel hattest. Deinen objektiven Blick für die Dinge des Films, erworben in mehr als einem Vierteljahrhundert praktischer Filmarbeit, den hast Du Dir auch als Filmreferentin im Ministerium bewahrt.
Beneidet hat man uns um Dich. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit einem bekannten DEFA-Kollegen aus Babelsberg, der mir mit Neid in der Stimme sagte, dass wir zu beglückwünschen seien, mit so einer Filmbeauftragten. Was soll man dem noch hinzu fügen? Außer vielleicht, dass Du nicht die Filmbeauftragte, sondern die Filmreferentin warst.
Aber nicht nur Deine Liebe zum Film und Dein Arbeitsengagement zeichneten Dich aus. Wenn es galt, irgendeine heimatlose Katze an den Mann zu bringen, ein neues Heim für einen glücklosen Vierbeiner zu finden, warst Du ebenso erfolgreich. Dein Engagement für die Umwelt und den Tierschutz ist bewundernswert und auch ein wenig anstrengend, ich weiß, wovon ich rede. Dein Interesse für alles was kreucht und fleucht oder ins Kino geht wird uns fehlen. Aber Du bist ja nicht aus der Welt, nein, Deine Telefonnummer verrate ich jetzt nicht, obwohl man sicher auch in Zukunft bei einem Gespräch mit Dir immer einen praktikablen Ratschlag bekommen wird, wenn man ihn denn haben will.
Liebe Hedda, für die zurückliegenden Jahre, für Deine engagierte Arbeit nimm den Dank von uns allen, die wir mit Dir gearbeitet haben, entgegen. Für Deine postministerielle Zeit sei Dir die Muse gegönnt, die Du für Dich und Deine vielen Hobbies brauchen wirst. Eine stabile Gesundheit setze ich voraus.
Stellvertretend für die Filmgemeinde
Dein DIAF-Team