6. März 2023

Sonderausstellung „Jochen Euscher – Werbung, Trickfilm, Wirtschaftswunder“

Key Visual: Motiv aus einem unbekannten Film von Jochen Euscher. ©DIAF/Nachlass Euscher. Gestaltung: Pureberry – Nadine Bechmann
Key Visual: Motiv aus einem unbekannten Film von Jochen Euscher. ©DIAF/Nachlass Euscher. Gestaltung: Pureberry – Nadine Bechmann
Szene (Hintergrund und Folie) Duetto con affetto, Jochen Euscher, BRD 1959. ©DIAF/Nachlass Euscher

Szene (Hintergrund und Folie) Duetto con affetto, Jochen Euscher, BRD 1959. ©DIAF/Nachlass Euscher

Jochen Euscher (1926–2008) ist ein typischer Vertreter des bundesrepublikanischen Nachkriegs-Animationsfilms: Mit viel Kreativität und Fleiß baut er nicht nur sein eigenes Filmstudio in Hamburg auf, sondern trägt damit auch zum „Wirtschaftswunder“ bei. Der Bedarf an Bewegtbild ist mit dem Aufkommen des Fernsehens riesig. Seine frühen Trickfilme, die er als freier Produzent herstellt, legen den Grundstein für eine Jahrzehnte währende Zusammenarbeit mit dem Fernsehen. Vor allem Sendeformate des NDR versorgt er regelmäßig mit Titelvorspännen, Trickmontagen und Bildanimationen.

Das DIAF präsentiert den Nachlass Euschers, den das Archiv im Jahr 2022 übernehmen konnte, in einer Sonderausstellung in den Technischen Sammlungen Dresden.

 

Ausstellungs-Katalog

Begleitend zur Sonderausstellung ist ein Katalog mit mehr als 50 Abbildungen/Fotos erschienen, der zum Preis von 7 Euro über das DIAF bezogen werden kann.

 

Filmprogramm ANIMANIA

Am 22. September 2023 zeigt das DIAF im Rahmen der ANIMANIA-Filmreihe einen Querschnitt von Euschers Arbeiten, die von eigenen Zeichentrickfilmen über Werbung bis zu Arbeiten für öffentliche Auftraggeber reichen, und ordnet sie in den zeitlichen Entstehungskontext ein.

Datum/Zeit: Fr, 22. September 2023, 19.30 Uhr
Ort: Museumskino der Technischen Sammlungen Dresden, Junghansstraße 1–3, 01277 Dresden
Einlass: eine halbe Stunde vor Spielbeginn
Eintritt: 6 € / 5 € (ermäßigt)

 

Ausstellungseröffnung

Zur Eröffnung am Samstag, 22. April 2023, um 13 Uhr im Rahmen des 35. Filmfests Dresden laden wir sehr herzlich ins Museumskino der Technischen Sammlungen Dresden ein.

Begrüßung: Dr. Till Grahl, Geschäftsführer DIAF & Kurator

Grußworte:

  • Sebastian Hecht, Geschäftsbereichsleiter für Kultur und Tourismus SMWKT
  • Hanne Sommer, Nichte von Jochen Euscher

 

Ein Geschenk

Jochen Euscher an seinem Schneidetisch, ca. 1966. ©DIAF/Nachlass Euscher

Jochen Euscher an seinem Schneidetisch, ca. 1966. ©DIAF/Nachlass Euscher

Als das Deutsche Institut für Animationsfilm im Sommer 2022 den Nachlass des Trickfilmers Jochen Euscher (1926–2008) als Schenkung von dessen Familie erhielt, war dies ein großer Glücksfall, für den wir sehr dankbar sind. Denn allzu oft fristen derartige Erbschaften ihr Dasein in Schubladen, Kellern und auf Dachböden, bevor sie wenige Generationen später entsorgt werden und für immer verloren gehen.

Jochen Euscher ist kein „großer“ Name, bei dem spontan Filme und Figuren vor dem inneren Auge erscheinen. Er ist eben kein Wolfgang Kaskeline (1892–1973) oder Hans Fischerkoesen (1896–1973), die in ihren Studios in der Zeit des „Wirtschaftswunders“ hunderte von Reklame- und Lehrfilmen herstellten. Aber im Gegensatz zu den „Großen“ ist Euscher der typischere Werbefilmer im Westdeutschland der Nachkriegszeit: Allein (oder mit nur wenigen Mitarbeitern) war er Bestandteil der aus einem Flickenteppich von kleinen und mittleren Studios, Einzelkämpfern und Amateuren bestehenden Animationsfilmlandschaft und trug seinen Teil zur Film- und Fernsehgeschichte bei – oft ohne als Schöpfer der Filme überhaupt in Erscheinung zu treten.

 

Puppen, Jazz & Grafik

Plakat für die Deutschen Kanu-Meisterschaften in Hamburg, 1952. ©DIAF/Nachlass Euscher

Plakat für die Deutschen Kanu-Meisterschaften in Hamburg, 1952. ©DIAF/Nachlass Euscher

Unmittelbar nach seinem Schulabschluss wurde Jochen Euscher (*22. Juli 1926 in Braunschweig) zum Kriegsdienst an der Westfront eingezogen, wo er schwere Beinverletzungen davontrug. Wirtschaftlich abgesichert durch eine Kriegsversehrtenrente, absolvierte er von 1947 bis 1951 zunächst die Meisterschule für das gestaltende Handwerk in Braunschweig, um Gebrauchsgrafiker zu werden, und besuchte hier nebenher die Puppenspielklasse für Marionetten-
Theater von Harro Siegel (1900–1985), dem früheren Leiter des Reichsinstituts für Puppenspiel und einem der wichtigsten Akteure in diesem Bereich weltweit.

1951 zog Euscher nach Hamburg, wo er Gebrauchsgrafik an der Landeskunstschule studierte. Hier gewann er 1953 einen Plakatgestaltungswettbewerb, durch den seine Arbeit erstmals von einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.

1954 machte er sich als Gebrauchsgrafiker in Hamburg selbstständig. Zudem spielte der leidenschaftliche Musiker von 1954 bis 1960 als Pianist im Magnolia Jazz Orchestra und trat 1961 in der renommierten Radiosendung „NDR Jazz Workshop“ neben Musikern wie Fatty George, Friedrich Gulda und Rolf Kühn auf.

 

Erste Filme, eigenes Studio

Kombination aus Hintergrund und Zeichenphasen zu Duetto con affetto, 1959. ©DIAF/Nachlass Euscher

Kombination aus Hintergrund und Zeichenphasen zu Duetto con affetto, 1959. ©DIAF/Nachlass Euscher

Neben seiner erfolgreichen Arbeit als Grafiker entdeckte Euscher immer mehr den Trickfilm für sich, mit dessen Hilfe er seine Figuren zum Leben erwecken konnte. Nahezu allein und auf eigenes wirtschaftliches Risiko stellte er Ende der 1950er einige Filme her (u.a. Duetto con affetto, 1959), die ihm den Einstieg in den lukrativen Werbemarkt ermöglichten. Es folgten ein Trickfilm für die Lufthansa und erste Auftragsarbeiten für den NDR, der zu Euschers größtem und dauerhaftestem Auftraggeber avancierte.

Die Einnahmen aus diesen ersten Filmen ermöglichten Euscher 1966 die Anschaffung sowohl eines Trick- als auch eines Schneidetischs für die damals geradezu fantastische Summe von rund 25.000 DM (bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 400 DM) und damit die Gründung eines eigenen kleinen Trickfilmstudios.

Nebenher übernahm er an seiner Alma Mater einen Lehrauftrag für Trickfilm. Doch Jochen Euscher war eher ein Praktiker. Der bestens etablierte Trickfilmer sah seine Zukunft in der Werbung und beim Fernsehen, das in der Nachkriegszeit zum neuen Leitmedium aufstieg und nach fähigen Köpfen wie ihm suchte.

 

Werbung & Fernsehen

Zeichenfolie Pets Fly Jet, Jochen Euscher, BRD 1961. ©DIAF/Nachlass Euscher

Zeichenfolie Tiere sind auch nur Menschen, Jochen Euscher, BRD 1961. ©DIAF/Nachlass Euscher

Ab Mitte der 1960er Jahre arbeitete Euscher vor allem als freiberuflicher Trickfilmproduzent für das Fernsehen. Dabei machte er sich die technischen Schwierigkeiten des noch jungen Mediums zu Nutze, indem er etwa Trickmontagen oder Bewegungen über unbewegte Fotos ausführte, weil die Fernsehkameras dies nicht leisten konnten. Das damit leicht verdiente, aber durchaus üppige Geld ermöglichte ihm einen aufwendigen Lebensstil.

Darüber hinaus stellte er Titelvorspänne für verschiedene Sendungen (u.a. Aktenzeichen XY … ungelöst, Sesamstraße) her und reichte als freischaffender Produzent immer wieder Ideen für kurze Animationsfilme ein, die in den verschiedenen Programmformaten der öffentlichrechtlichen Fernsehanstalten gezeigt wurden.

Dazu kamen Werbefilme, die Euscher oft mit einfachsten Mitteln wie farbigen Papierausschnitten im Legetrickverfahren realisierte, sowie Erklär- und Schulungsfilme für die Bundeswehr und andere Auftraggeber.

Noch bis Ende der 1990er Jahre nahm er gelegentlich Aufträge an, bevor er am 20. April 2008 im Alter von 81 Jahren in Hamburg starb.