DEFA-Trickfilmerin Sieglinde Hamacher verstorben
Die Animationsfilmregisseurin Sieglinde Hamacher, die jahrzehntelang im Dresdner Trickfilmstudio gewirkt hat, ist am 18. Dezember bei Stuttgart verstorben. Sie wurde 84 Jahre alt.
Die gebürtige Dresdnerin, Jahrgang 1936, gehörte zur ersten Riege der Regisseur*innen im DEFA-Studio für Trickfilme Dresden. Hamacher, die aus einer theaterinteressierten Familie stammte und eigentlich Bühnenbildnerin werden wollte, absolvierte zunächst ein entsprechendes Volontariat am Staatstheater Dresden und den Landesbühnen Sachsen und nahm parallel Zeichenunterricht bei Jürgen Böttcher (später Strawalde).
1956 kam sie ins kaum ein Jahr alte Trickfilmstudio am Gorbitzer Hang. Da sie sich als Phasenzeichnerin nicht wohl fühlte, absolvierte sie ein theaterwissenschaftliches Studium an der Leipziger Hochschule „Hans Otto“. Noch vor dessen Abschluss erhielt sie den ersten Regieauftrag: Zur Vater-Serie, die die Eigenheiten und Herausforderungen eines Familienoberhaupts aufs Korn nahm, steuerte sie Anfang der 70er Jahre mehrere Episoden bei. Es folgten zahlreiche weitere Zeichentrickfilme voll scharfer Beobachtungen und überraschender Pointen. Mit Hedda Gehm hatte Sieglinde Hamacher eine Autorin und Dramaturgin an der Seite, die den Sinn für lakonischen Humor und drastische Überhöhung teilte und unterstützte. Bei vielen Filmen arbeitete Hamacher mit der Animatorin Barbara Atanassow und der Hintergrundgestalterin Ingrid Gubisch zusammen.
Kugelschreiber auf Papier
Nicht zuletzt durch Festivalbesuche wuchs Sieglinde Hamachers Wunsch, etwas Eigenes zu kreieren: Filme, die sie komplett selbständig realisieren könnte, ohne den sonst benötigten Stab von Zeichnern, Konturisten und Koloristen. Schwarzer Kugelschreiber auf Schreibmaschinenpapier, das wurde ihre Technik. Die so entstandenen Filme wie Die Lösung über einen Vogel, der sich durch sein keckes Aufbegehren von der gehorsamen Masse abhebt, oder der die Sinnhaftigkeit der Lohnarbeit hinterfragende Lebensbedürfnis oder Arbeit macht Spaß sind noch heute gültige Werke, in denen sich viele Zuschauer wiederfanden und -finden.
Ihr Publikum sah Sieglinde Hamacher in Erwachsenen. Mit ihren klugen, pointierten Parabeln eckte sie an – nicht nur einmal. So wurde beispielsweise ihr abstraktes Werk Kontraste über Leben und Lieben in einem Wassertropfen nicht für den Kinoeinsatz zugelassen und sogar das Negativ vernichtet.
Ehrenamtliches Engagement für die Filmkultur
Nach mehr als 50 Filmen und dreieinhalb Jahrzehnten fand Sieglinde Hamachers „Trickfilmzeit“ durch die Studio-Abwicklung „einen sehr hässlichen Abschluss“, wie sie rückblickend sagte. Die Regisseurin engagierte sich fortan in Vereinen und Gremien für die Filmkultur. So war sie 1990 Gründungsmitglied des Filmverbandes Sachsen und ein Jahr später der Sächsischen Landesmedienanstalt, gehörte dem Vergabeausschuss der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) und dem Sächsischen Kultursenat an, rezensierte aktuelle Kinoproduktionen. Das Leipziger Dokumentar- und Animationsfilmfestival ehrte Sieglinde Hamacher 2001 mit einer Retrospektive.
DIAF/Tanja Tröger
Kleine Erinnerung an Siggi
Als ich vor kurzem die so sehr traurige Nachricht von Siggis Tod bekam und über die Jahre unserer Freundschaft nachzudenken begann, fielen mir merkwürdigerweise nicht zuallererst unsere vielen schönen Begegnungen ein. Zum Beispiel gemeinsam besuchte Veranstaltungen, unser Meinungsaustausch im dunklen Auto danach, wenn ich Siggi nach Hause brachte, unsere oft so amüsanten Besuche im Kino Ost im Damenviererclub, auch nicht die anregenden Kaffeenachmittage im Café Toscana am Schillerplatz. Nein, ich erinnerte mich plötzlich an den Moment vor 45 Jahren, als ich Dich, Siggi, das erste Mal sah. Ich war erst wenige Tage in meiner neuen Arbeitsstelle, der Dramaturgie des DEFA-Trickfilmstudios Dresden. Hatte noch keinen eigenen Schreibtisch und saß am kleinen, runden Besuchertischchen im Arbeitszimmer der unteren Dramaturgie. Blätterte in irgendeinem Katalog. Nur Dramaturgin Hedda Gehm war auch anwesend. Da klopfte es und es erschien – ja, erschien ist tatsächlich das passende Wort – eine hochgewachsene, schlanke Dame mit schwarzem Haar, bekleidet mit einem sehr hellen, beigefarbenen Hosenanzug aus Wildleder. Sie grüßte flüchtig in meine Richtung, begrüßte herzlich ihre Dramaturgin Hedda und beide verließen sogleich das Büro. Hätte mich damals jemand gefragt, warum ich mir sofort sicher war, dass diese stolze Dame etwas Besonderes sein müsste, könnte ich es nicht begründen. Sie strahlte das aus. Von Hedda erfuhr ich dann, dass diese Dame die Regisseurin Sieglinde Hamacher war.
In den vielen Jahren unserer Freundschaft bestätigte sich dann unzählige Male, welch besonderer Mensch Sieglinde war. Natürlich war sie gebildet und kunstsinnig. Aber sie war auch dazu fähig, immer wieder eine völlig ungewöhnliche Sicht auf die Dinge des Lebens und der Kunst einzubringen oder auch etwas völlig Kompliziertes radikal und volkstümlich zu vereinfachen. Langweilig war es mit ihr nie. Aber, dass muss auch erwähnt werden, so schnell ging das keineswegs mit unserer Freundschaft. Siggi wartete überhaupt nicht darauf, mit allen Leuten, die sie traf, sogleich Freundschaft zu schließen. Ihr Blick war erst einmal äußerst kritisch. Hatte sie jemand gar prinzipiell geärgert, standen dessen Chancen schlecht bei Siggi. Auch Jahre danach.
So ging sie in ihrer Jugendzeit zum Malunterricht an die Dresdner Volkshochschule und war in der gleichen Klasse wie der später berühmte A. R. Penck. Der Lehrer war der Maler und Dokumentarfilm-Regisseur Jürgen Böttcher. Dieser führte oft und gern Pencks Bilder als großartige Beispiele vor und lobte diese über alle Maßen. Siggi empörten diese einschüchternden Lobeshymnen zutiefst, weshalb sie Böttcher bis zuletzt nicht mochte, auch wenn sie dessen Kunst wohl doch schätzte. Siggi hatte auch keineswegs das Bedürfnis, mit allen Menschen, auch mit uns Freundinnen nicht, immer einer Meinung zu sein. Mit Vorliebe vertrat sie Auffassungen, hin und wieder auch absurde, die von unseren deutlich abwichen. Sie sprach dann besonders laut und im Stil einer Oberlehrerin. Manchmal hatte ich sie im Verdacht, dass sie sich köstlich amüsierte, wenn ihre braven intellektuellen Freundinnen erfolglos versuchten, sie mit irgendwelchen Argumenten umzustimmen.
Wenn ich Siggis künstlerischen Weg bei der DEFA noch einmal betrachte, auf dem sie als gute Künstlerin loswanderte und dann die Kraft hatte, den steilen Felsen zur international ausgezeichneten Spitzenanimationsfilmerin zu erklimmen, so kann ich erneut nur beeindruckt und begeistert sein.
Liebe Siggi – vielleicht zeigst Du dem lieben Gott, ich bin mir natürlich sehr sicher, dass dieser Dich auch als Atheistin in seinem Himmel eingelassen hat, mal ein paar Filme von Dir, damit er weiß, was er an Dir hat. Sollte er an irgendeinem herummäkeln, so wirst Du ihm mit strenger Stimme ein paar Takte sagen.
Deine Freundin Marion
Marion Rasche
Adieu, Sigi!
Adieu, Sigi! Rien ne va plus. Aber geblieben ist nicht wenig. Du hast dich immer so intensiv auf eine Idee, auch die meinigen, gestürzt und mit dem Stift eine Welt aufgetan. Es war ein wunderbares Arbeiten. Und es übertrug sich auf alles Folgende und die Folgenden. Erinnern wir uns an die Vertonung Die Lösung mit dem superurigen Zwingertrio. Oder an Lebensbedürfnis – Arbeit macht Spaß mit dem unübertrefflichen Thomas Stelzer. Selbst die Pleite, Manfred Krug als Sprecher für einen Auftragsfilm mit Friedrich-Engels-Texten zu verpflichten, ist mit allem Hin und Her zur lustigen Erinnerung geworden.
Erinnerungen . . . Sigi, hab‘ Dank!
Hedda Gehm