16. August 2016

Kurt Weiler ist verstorben

Rekonstruktion eines berühmtes Mordfalles, Kurt Weiler, 1975, ©DIAF-Archiv
Rekonstruktion eines berühmtes Mordfalles, Kurt Weiler, 1975, ©DIAF-Archiv

Kurt Weiler, der Meister des künstlerischen Puppenfilms, ist verstorben. Weggefährten erinnern sich.

Am Dienstag, dem 2. August 2016, ist Kurt Weiler im Kreise seiner Familie in Kleinmachnow verstorben und wurde am 16. August, seinem 95. Geburtstag, auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf beigesetzt.

In seinem gut vierzigjährigen Schaffen realisierte der gebürtige Lehrter Kurt Weiler 30 Kurzfilme für Kinder und Erwachsene sowie zahlreiche Auftragsfilme und Spielfilmarbeiten voller Phantasie und Humor. Kurt Weiler verbündete sich mit Bühnenbildnern, Theatermachern und bildenden Künstlern und schuf eine neue Form des Puppen- und Collagen-Animationsfilms. Seine Experimentier- und Verfremdungslust mit poetisch stilisierten Puppen führte zu einer zunehmenden Reduzierung und Abstraktion in Erzählung und Gestaltung: vom Schneemann mit der verlorenen Nase über den Löwen aus alten Medikamentenschachteln bis zur Reiterarmee auf dem Pferd mit Überlänge und weiter. Kurt Weiler war es wichtig, im Sinne Brechts nicht wirkliche Dinge zu zeigen, sondern die Wirklichkeit der Dinge.

Während seines Exils in England von 1939 bis 1950 hatte sich Kurt Weiler dank der Begegnung mit Peter Sachs dezidiert dem künstlerischen Animationsfilm jenseits von Disney und jeglichem Naturalismus hingegeben.

Mit seinem Werk voller poetischem Humor prägte er mehrere Generationen von DEFA-Filmemachern in der DDR und später auch an der Hochschule für Film und Fernsehen, wo er von 1987 bis 1997 unterrichtete. Ob Peter-Hacks-Gedicht, Shakespeares „Wintermärchen“ oder philosophisch-satirische Betrachtungen gespickt mit Marx-Zitaten – seine Filme machen Kurt Weiler zu einer der bedeutendsten Künstlerpersönlichkeiten des deutschen Animationsfilms des 20. Jahrhunderts.

Die Suche nach dem Vogel Turlipan, Kurt Weiler, 1976, ©DIAF-Archiv

Die Suche nach dem Vogel Turlipan, Kurt Weiler, 1976, ©DIAF-Archiv

Die Suche nach dem Vogel Turlipan ist mein Lieblingsfilm. Im Grunde ist das der Film über mich. Der Mann, der auszieht, den Wundervogel zu finden, und dann gibt’s den nicht.“
(Kurt Weiler, 2002 im Zeitzeugengespräch mit Marion Rasche)

 

Wir verneigen uns vor Kurt Weiler und seinem künstlerischen Lebenswerk und bieten hier auch Wegbegleitern die Möglichkeit, seiner zu gedenke

Marion Rasche, Regisseurin und seinerzeit DEFA-Dramaturgin:

„Schon bei dieser ersten Zusammenarbeit [Ein gemachter Mann oder Falsche Fuffziger] ahnte ich, was Dich am Animationsfilm am meisten fasziniert: dieses Abenteuer nämlich, für Deine Ideen die möglichst ungewöhnliche besondere Form zu suchen. Keine allseits bewährte, die es schon hundert Mal vor Dir gab, interessierte Dich. Mit überbordender Phantasie gingest Du auf diese Suche. Und mit Deinem Charisma, Deiner Weltläufigkeit und Deinem Kunstverständnis hast Du immer wieder bedeutende Gestaltungskünstler angezogen, mit denen Du Deinen Weg gehen konntest. Der Grund für Deine Emigrationsjahre in England, lieber Kurt, war so tragisch. Aber das Schicksal hatte etwas Gerechtigkeit für Dich parat, indem es Dir dort die frühe Begegnung mit der internationalen Kunst-Avantgarde ermöglichte. Und das floss immer in Deine Arbeit ein. Wenn Du nach Deinem künstlerischen Credo befragt wurdest, gab es für Dich stets nur eine Antwort: sich nie wiederholen, Wiederholung war für Dich der Tod in der Kunst. Mir hat auch immer imponiert, wie Du Dich unverdrossen mit Widerständen und Unverständnis, denen Du ja immer auch begegnet bist, auseinandergesetzt hast. In vielen öffentlichen Gesprächen wurdest Du nicht müde zu vermitteln, welch ungeahnte wunderbare Möglichkeiten es im Animationsfilm gibt. […]“

Es gibt bedeutende Regisseure im Animationsfilm, die Einzelkämpfer sind. Du warst das nicht. Du brauchtest ein Team, das Dich verstand, das für das gemeinsame Ziel mit Dir durchs Feuer ging. Mitarbeiter, die ihre Arbeit einfach nur so absolvierten, waren für Dich gänzlich ungeeignet. Wenn Du Leute, die Dein Kunstverständnis teilten, gefunden hattest, dann liebtest Du diese uneingeschränkt und immer. Du schwärmtest immer von dem Kunstgenie Achim Freyer, verfolgtest seine großartigen Theater-Inszenierungen. Erzähltest begeistert von dem schwierigen Einar Schleef. Und nach Deiner Filmarbeit in Babelsberg im Kreise engagierter, schöpferischer Mitarbeiter hattest Du bei Deinem zweiten Anlauf in Dresden auch bald die Künstler um Dich versammelt, denen Du vertrautest und die Du schätzen konntest: Kameramann Rolf Hofmann, Gestalterin Martina Großer, Deine Animatoren. Und mich als Dramaturgin mochtest Du wohl letztlich auch, aber hin und wieder nicht. Für mich war es manchmal nicht so einfach. Du warst ja mit Deinem Team täglich im Atelier auf engstem Raum zusammen. Ich dagegen kam nur in Abständen. Übrigens fällt mir in diesem Zusammenhang gleich noch eine weitere Eigenschaft von Dir ein, die ich eigentlich überaus liebenswert finde: Deine ungebremste Begeisterungsfähigkeit. Über jeden neuen Einfall, über jede verrückte Idee konntest Du Dich freuen wie ein Kind. […]

Eine Deiner angenehmsten Eigenschaften darf heute keinesfalls unerwähnt bleiben: Du konntest Dich auch immer an gelungenen Filmen anderer Kollegen erfreuen und sie ausgiebig loben. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Besonders geschätzt hast Du die Filme von Lutz Dammbeck, warst beeindruckt von der animatorischen Virtuosität des Günter Rätz. Und an einen berührenden Moment erinnere ich mich ganz besonders. Wir kamen auf die Quay Brothers zu sprechen, die wir beide phänomenal fanden. Und Du sagtest: Sie haben Dich am meisten überwältigt. Und sie blieben immer neugierig. Sie haben gemacht, was ich wollte und nicht konnte und nicht durfte. Da war es auch wieder, dieses kleine Traurig-Lächeln. Wer Deine Filme kennt, versteht, was Du hier gemeint hast.“